Isolationshaft gilt beim Menschen als Foltermethode. Dass sie massive Auswirkungen sowohl auf das seelische, als auch auf das körperliche Wohlbefinden hat, ist für den Menschen als soziales Tier nachgewiesen und für uns auch problemlos nachvollziehbar. Was wir gern übersehen: Die Einzelhaltung von Exemplaren sozialer Tierarten ist nichts anderes. Das gilt auch für Mäuse – mit entsprechend qualvollen Folgen für die betroffenen Tiere.
Die für den Menschen bei Wikipedia aufgeführten Folgen der Isolationshaft (und nichts anderes ist Einzelhaltung!) können also in großen Teilen so oder in ähnlicher Weise auch für soziale Kleinsäuger angenommen werden, wobei die Auswirkungen umso schlimmer sind, je intelligenter und sozialer eine Art ist.
Häufige Folgen
Auch wenn es nicht immer offensichtlich ist, Einzelhaltung bleibt für ein soziales Tier niemals ohne Folgen. Nur ist die Art und Ausprägung der Symptome von Tier zu Tier und auch von Art zu Art mitunter sehr unterschiedlich. Generell haben Mausartige und andere Nager und Kleinsäuger aber das Problem, dass ihr Leid oft und leicht übersehen wird. Sie jaulen nicht wie Hunde, rupfen Federn wie Papageien oder zeigen andere, für Menschen sehr deutliche Zeichen des Unwohlseins. Auch lassen sich von ihnen nur schwer viele Laborwerte am lebenden Tier erheben. Für größere Tiere wie Pferde oder Graupapageien konnten Studien jedoch schon eindeutig nachteilige Effekte der Einzelhaltung nachweisen.
Die viel subtileren Symptome von sozialen Nagern und anderen Kleinsäugern treten zwar häufig auf, werden aber in der Regel schlicht übersehen oder zumindest fehlinterpretiert. Es bedarf einiger Erfahrung im Verhalten der betrachteten Art(engruppe), um sie zu erkennen. Einige, wie die Störung des vegetativen Nervensystems oder Depressionen lassen sich in der Haustierhaltung so gut wie gar nicht nachweisen – was jedoch nicht heißt, dass sie nicht vorhanden sind.
Einige Symptome werden aber auch schlicht dann erst deutlich, wenn das vereinsamte Tier wieder Gesellschaft bekommt. Im Vorher-Nachher-Vergleich lassen sich besonders verminderte Bewegungsfreudigkeit, reduzierte oder übermäßige Nahrungsaufnahme, unnatürliche Zahmheit oder Scheu, Bissigkeit und Kontaktstörungen gut und auch für Laien recht deutlich erkennen.
Das Problem: Dafür müssen die Tiere erst einmal wieder in eine soziale Situation gebracht werden – was bei “die sind allein doch glücklich”-Haltern leider fast nie geschieht. Die Lernkurve für diese Menschen bleibt daher aus und der betreffende Halter befeuert die Mär der glücklichen Einzeltiere.
Im einzelnen nicht nachzuweisen – aber durch Vergleiche mit Wurfgeschwistern zu vermuten – ist der frühzeitige Tod, der bei Einzelhaft sogar schon für den Menschen nachgewiesen werden konnte.
Häufige Folgen im Überblick
- verminderte Bewegungsfreudigkeit
- reduzierte Nahungsaufnahme
- übermäßige Nahrungsaufnahme
- extreme, unnatürliche Scheu
- extreme, unnatürliche Zahmheit
- Bissigkeit
- vermindertes Immunsystem
- schlechtere Wundheilung
- Störungen des vegetativen Nervensystems
- vernachlässigte Fellpflege
- verminderte Intelligenz
- Kontaktstörungen
- Depression
- früher/vorzeitiger Tod
Typisches Verhalten bei einer Kontaktstörung
Seltene Folgen
Seltener sind massive, nicht mehr zu übersehende Folgen der Einzelhaltung. Das Problem hier: Sie werden zwar bemerkt, aber nicht immer richtig interpretiert. Da sich diese Symptome erst nach und nach durch die Länge der Einzelhaltung entwickeln, suchen viele Halter – und auch Tierärzte – die Ursache in organischen Störungen oder fahnden nach der zugrundeliegenden Krankheit. Vor allem, wenn Einzeltiere apathisch werden oder die Nahrungsaufnahme verweigern, machen Halter und Ärzte diesen Fehler. Um dem Tierarzt die Diagnose zu erleichtern, ist die Information “lebt in Einzelhaltung” also sehr wichtig.
Massive Kontaktstörungen fallen bei Vergesellschaftungen sofort auf, da sie diese schnell für Mäuse und Mensch zum Spießrutenlauf geraten lassen. Die Tiere sind wahlweise hochgradig panisch, “unberechenbar” bissig oder extrem aggressiv. Manche gehen – für Laien – wie aus dem Blauen auf ihre Artgenossen los und beißen massiv zu. Hier den Auslöser zu finden, bedarf einiger Erfahrung und Übung im Verhalten der jeweiligen Art. Anfänger sind mit solchen Tieren schnell überfordert und stempeln sie als nicht ganz dicht, grundlos aggressiv oder als erklärte Einzelgänger ab. Nicht selten werden solche Tiere dann auch zu Wanderpokalen, wenn sie nicht in erfahrenen Händen resozialisiert werden.
Der Autokannibalismus ist die seltenste, wenngleich auch massivste Störung, bei der sich das Tier selbst Gliedmaßen oder andere Körperregionen an- oder gar abfrisst. In der Regel steht Halter hilflos vor einem solchen Problem. An Einzelhaft als Ursache denken dabei leider die Wenigsten.
Häufige Folgen im Überblick
- Apathie
- massive, langwierige Kontaktstörungen
- Verweigerung der Nahrungsaufnahme
- Autokannibalismus
Soziale Einzelgänger?
Einzelhaltung kann aus hochsozialen Tieren regelrechte Psychopathen machen – aber keine Einzelgänger. Lassen sich Langzeitsolos schlecht vergesellschaften, bekommen sie schnell den Stempel: „Der will alleine sein.“ Kein soziales Nagetier will einsam sein. Daran ändert auch eine lange Einzelhaltung nichts, da das Kontaktbedürfnis angeboren ist. Verloren geht jedoch die Fähigkeit, Kontakt zuzulassen und auszutauschen. Oft sind es Berührungen, die die ehemaligen Einzeltiere nicht ertragen können. Schon vorsichtiges Schnuppern oder ein versehentlicher Tritt auf den Schwanz kann dadurch zur Katastrophe werden. Nicht wenige Solos gehen bei der Kontaktaufnahme in die Vorwärtsverteidigung und beißen alles weg, was bei drei nicht auf den Bäumen ist.
Die denkbar schlechteste Lösung ist es dann, ihnen den Stempel “Einzelgänger” aufzudrücken und sie allein in einen Käfig zu sperren. Damit vermehren und verlängern Sie lediglich das Leid der einsamen Maus. Vielmehr gilt es, den oder die Auslöser zu finden und zu beseitigen oder zumindest abzumildern und mit den Tieren zu üben, Berührungen wieder zu ertragen. Außerdem brauchen diese verstörten Kreaturen sozial hoch kompetente Artgenossen, die sich von ihrer Aggression oder Angst nicht aus der Ruhe bringen lassen. Offen gezeigte Angst oder entgegnete Aggression sind wenig förderlich, da aggressive Langzeitsolos mit diesen Aspekten des Verhaltensspektrums nicht (mehr) umgehen können. Sie müssen die Sprache ihrer Art und eine passende Reaktion auf verschiedene Verhaltensweisen erst wieder lernen. Das gilt insbesondere für Mäuse, die schon sehr jung vereinzelt wurden und deren sozialer Lernprozess daher nie abgeschlossen wurde.
Aggressive Langzeitsolos sind eine ganz besondere Herausforderung. Im Mäuseasyl arbeite ich seit vielen Jahren mit solchen Tieren und weiß daher, dass sich die Mühe lohnt. Es gibt nichts Schöneres, als einem Ex-Solo beim entspannten Kuscheln zuzusehen. Schaffen können das alle. Es liegt bei Ihnen als Halter, den Mäusen die Chance dazu zu geben und sie auf dem Weg richtig zu begleiten.
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Quellen:
Wikipedia
Plos One: Schmucker, Preisler, Maar, Krüger, Stefanski: Single housing but not changes in group composition causes stress-related immunomodulations in horses
Informationsdienst Wissenschaft: Kautschitsch, Susanna: Über kurz oder lang: Einsamkeit schädigt Erbmaterial
Letztes Update: 14.07.2023