Oh, Deutschland, Du Land der Dichter und Denker? Na, wohl eher das der Kleingeister und Papierkletten! Denken (und Dichten) wird hierzulande nämlich offensichtlich nur honoriert, wenn man auch einen Papierfetzen hat, wo drauf steht, dass man denken (und dichten) kann. Andernfalls ist man ja quasi nicht vorhanden.
Probearbeiten? Auf der Baustelle vielleicht und mit etwas Glück auch im Fitness Studio. Aber im Büro scheint das Konzept gänzlich unbekannt. „Haben Sie denn auch einen Abschluss dafür?“ Nein, habe ich nicht – ich kann es aber trotzdem!
Das Blöde an der Sache ist, ich weiß, was ich kann und was nicht und ich bewerbe mich auch nur auf Jobs, von denen ich weiß, dass ich sie packe. Nur weiß es mein potenzieller Arbeitgeber nicht. Und weil ich keinen Zettel hab, der ihm quasi garantiert, dass ich kann, was er von mir will, kann ich nur eines – nämlich gleich wieder einpacken.
Liebe Arbeitgeber, ich kann lesen. Ja, kann ich tatsächlich. Und ganz doof bin ich auch nicht, wie mir der Medizinertest und das Assessment Center bei unserer lieben Bundeswehr bescheinigt hat. Ja, dafür hab ich sogar einen Zettel!
Dazu hab ich von Mama auch noch so ein ganz winzig kleines bisschen Talent für die deutsche und noch so einige andere Sprachen geerbt. Sprache ist toll. Man kann damit ungemein viel machen: Informieren, werben, ärgern, trösten, überzeugen, lamentieren und und und. Ist also schon mal ein ganz gutes Werkzeug. Zusammen mit einem annehmbaren IQ und der Fähigkeit zu lesen kann man – oder eben auch Frau – so ziemlich alles lernen, was sich so rund um das persönliche Talent tummelt.
Ich lese nämlich gerne und zwar nicht nur Romane, sondern auch durchaus lehrsame Sachliteratur. Und wie jedes halbwegs intelligente Lebewesen spiele ich gern. Und oft spiele ich eben auch mit Sachen rum, über die ich was gelesen habe, bis die Theorie der Lektüre auch in der Praxis funktioniert. Bin da ja nicht wie mein Nachbar, dem die Theorie zum Überleben ausreicht – oder eben auch nicht, wie wir ja bei seinem Einzug gesehen haben.
Aber ich schweife ab. Lesen und lernen und kein Zettel dafür war ja das Thema. Genau! Es ist schon recht faszinierend, was man mit Content Management Systemen, Graphikprogrammen und Social Media Portalen alles anstellen kann, wenn man sich mal jenseits der Try-and-Error-Methode durch Lesen weiterbildet. Das Schöne daran ist, wenn man erstmal ein gewisses Level erreicht hat, schocken einen auch neue Systeme, Programme oder Portale nicht mehr. Die Funktionsweisen dahinter sind so unterschiedlich nicht. Auch im Internet wird das Rad eben nicht dauernd neu erfunden. Das hat den unschlagbaren Vorteil, daß man innerhalb weniger Tage mit neuen Sachen arbeiten kann, als würde man sie schon Wochen oder Monate kennen.
Aber es muss einen eben auch erstmal wer damit arbeiten lassen. Und genau das ist der Haken! „Wie? Sie sind kein Webdesigner?“ Tut mir leid, bin ausgebildeter Journalist. Wußte nicht, dass ich als Texter und Online-Redakteur auch Webdesigner sein muss. „Haben Sie denn auch einen Abschluss als Marketingkaufmann?“ Nein, und auch nicht als Marketingkauffrau! „Können Sie denn eine Weiterbildung zum Online-Texter vorweisen?“ Nein? Warum auch, ich arbeite bereits seit 6 Jahren mit Text im Onlinebereich. Und so weiter und so fort. Der Passierschein A38 ist heutzutage nicht offensichtlich nur auf Ämtern en vouge. Auch Personalabteilungen scheinen dafür inzwischen einen passionierten Fetish entwickelt zu haben.
Was man heute alles braucht, um eine angemessen bezahlte Festanstellung jenseits von Vitamin B und Summa-cum-laude-Abschlüssen zu kriegen, versetzt mich immer wieder in basses Erstaunen. Meine Kommilitonen im übrigen auch. „Wie? Du kannst so viel und findest nix?“ Jepp! Tatsache wahr. Ich schleppe halt kein halbes Buch an Bescheinigungen, Zeugnissen und Abschlüssen mit mir rum.
Was bleibt einem dann also als notorischer A38-Verweigerer? Freelancing! Ist kaum zu glauben, welchen Unterschied das macht. Plötzlich sind Erfahrung, Lernfähigkeit und -willigkeit und die damit verbundene enorme Flexibilität wieder gefragt. „Wie? Sie haben noch nie fotografiert?“ Nö, jedenfalls nichts, was über Schnappschüsse raus geht. Aber ich kann das Manual lesen und dann ein bisschen mit der Kamera rumspielen, bevor man mich auf die Produkte loslässt. „Das ist sehr schön. Dann kommen Sie doch Montag früh gleich mal bei uns vorbei.“ Nanü? So einfach geht das? Komisch. Quasi denselben Job hat man mir schon mehr als einmal nicht zugetraut. Weil, ich bin ja offiziell – also mit Wisch und Stempel – weder Fotograf, noch Webdesigner, Marketingkauffrau, Online-Texter, PR-Fachfrau oder was es sonst noch so alles rund um Text, Bilder und Kommunikation so gibt.
Also packe ich eben erstmal meine Sachen auf eigene Rechnung zusammen und schaffe das, was man mir anderswo nicht zutraut. Ein Hoch auf den Gewerbeschein! Selbständig arbeitet man zwar selber und ständig, aber besser als zu Hause gammeln und Zettel sammeln ist es allemal.
Und eins bekommt mein neuer Chef auf Zeit mit mir: Einen hochmotivierten und fleißigen Mitarbeiter, auf den er sich verlassen kann. Einen, den das in ihn gesetzte Vertrauen zu ungeahnten Leistungen anspornt. Denn für die Art von Motivation gibt es noch keine Lehrgänge und ergo auch noch keine Zettel. Dafür gibt es die für etwas Vertrauen in die Intelligenz, die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen eines Menschen sogar gratis obendrauf. Für alle Personaler, die das noch nicht wissen: Das ist nachzulesen im Handbuch A39!
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