Selektion als Prinzip beim Füttern

“Das Futter ist Sch…! Da fressen meine Mäuse ja dieses und das und jenes gar nicht.” Dieses klare Statement kommt von nicht wenigen Haltern, zu mancher Futtermischung. Hier bekkommt es ein ebenso klares Gegenstatement. Dieser Artikel erklärt, warum Mäuse nicht immer alle Komponenten eines Futters fressen und warum dieses Verhalten wichtig für die Gesundheit Ihrer Tiere ist. Vielleicht sehen Sie nach dieser Lektüre das Futter Ihrer Tiere in einem ganz neuen Licht.

Buffet für Mäuse: Selektion als Prinzip

Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu Ihrem Lieblingsasiaten und essen dort vom Buffet. Aber diesmal steht Ihnen der Sinn nach Meeresfrüchten, Brokkoli und Sojasprossen, obwohl das Lammfleisch mit Pilzen und Möhren beim letzten Mal ganz wunderbar waren. Aber so eine gebackene Banane mit Honig ….Das ist die kleine Sünde, die Sie sich immer gönnen. Sie wählen also aus einem breiten Angebot bestimmte Lebensmittel aus und essen nicht alles, was auf dem Buffet angeboten wird – obwohl Sie auch die nicht gewählten Zutaten grundsätzlich mögen. Dazu wählen Sie Speisen immer, die Ihnen einfach besonders gut schmecken.
Ähnlich geht es Mäusen sowohl mit den Trockenfuttermischungen, als auch mit Frischfutter. Stellen Sie sich die Futtermischung, die Sie kaufen, als das komplette Buffet vor. Sonnenblumenkerne, Hanfsaaten, Grassamen, … Je nach Mäuseart sind das die gebackenen Bananen, die jeder mag und die immer weggehen. Dazu kommen viele andere Zutaten, von denen immer welche liegenbleiben – manche nur ab und zu, andere fast immer. Was so manchen Halter irritiert oder gar ärgert, ist ein ganz normales, gesundes Verhalten, wie der folgende Abschnitt zeigt.

Warum selektieren Mäuse ihr Futter?

Die Selektion bestimmter Bestandteile aus einem breiten Angebot ist ein natürliches, instinktives und gesundes Verhalten für alle kleinen Säugetiere, die in Menschenhand leben. Dieses Verhalten ist Teil ihres wilden Erbes und wird von hochkomplexen Regelkreisen im Körper gesteuert.
Zum einen genießen Mäuse bestimmte Futtermittel wie wir Menschen auch, weil sie sie lecker finden. Wie beim Menschen sind das oft recht hochkalorische Komponenten wie Nüsse, Fettsaaten oder fette Insektenlarven. Dieses “lecker” signalisiert: “viele Kalorien”. Das ist in Lebensräumen, in denen Futter nicht ständig und endlos verfügbar ist, ein Überlebensfaktor und damit für Mäuse wie für Menschen instinktiv besonders interessant. Jedoch brauchen auch die kleinen Nager neben Kalorien noch viele weitere Stoffe aus dem Futter, darunter Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe.
 
Der gesamte Stoffwechsel eines Lebewesens ist ein dynamisches System, das immer wieder sein Gleichgewicht sucht und von internen und externen Faktoren beeinflusst wird. Daraus resultiert ein simpler Fakt: Der durchschnittliche Nährstoffbedarf ist zwar in etwa gleich, der tägliche Nährstoffbedarf dagegen schwankt. Hinzu kommen besondere Lebensumstände wie Krankheit, Trächtigkeit oder erhöhter Stress, die ebenfalls Einfluss auf den Nährstoffbedarf eines einzelnen Tages oder auch eines Lebensabschnitts eines Tieres nehmen.
Zum anderen enthalten manche Pflanzen medizinisch wirksame Stoffe, mit denen sich die Tiere quasi selbst medikamentieren können – und dies in einigen Fällen auch tun. Futterbestandteile, die solche Stoffe enthalten, werden nur dann mehr oder überhaupt gefressen, wenn das Tier sie wirklich benötigt.
Hier liegt ein Nachteil supplementierter Mischungen: Oft enthalten sie nicht nur wenige, sondern auch besonders billige Bestandteile und diese nicht immer in guter Qualität – frei nach dem Motto: Die Supplemente werden es schon richten. Entsprechend weniger enthalten sie von den wertvollen Pflanzenstoffen, aber auch von natürlich enthaltene Mineralien und Vitaminen.
 
Vor allem die exotischen, noch sehr ursprünglichen Arten beherrschen die Selektion noch sehr gut und fressen – ein entsprechendes “Buffet” vorausgesetzt – bevorzugt die wichtigen und für sie am jeweiligen Tag richtigen und wichtigen Bestandteile. Aber auch domestizierte Arten wie Farbmäuse und Farbmongolen finden zu diesem Verhalten zurück, wenn Sie Ihnen die Möglichkeit dazu geben.
Das bedeutet: Haben Ihre kleinen Schützlinge die Wahl aus einer möglichst großen Bandbreite geeigneter (!) Futterkomponenten, ernähren sie sich deutlich mehr am täglich wechselnden Bedarf orientiert und haben so auch die Gelegenheit, Sonderbedarfe gezielt zu decken.
Goldstachelmaus mit Ei
Selektion auf einen Blick
Zwergstachelmaus (Acomys spinosissimus) richtig füttern

Zusätze statt Selektion?

“Aber was, wenn meine Tiere nicht alle Nährstoffe bekommen?” Die Sorge treibt so manchen Halter um und Zusätze von Mineralien und Vitaminen versprechen hier Sicherheit und Gesundheit. Das Versprechen ist allerdings ziemlich hohl. Auch wenn sich die Zusätze im Idealfall perfekt am Durchschnittsbedarf an grundlegenden Nährstoffen der jeweiligen Art orientieren, trifft das Futter eben nur den Durchschnitt. Den tatsächlichen Bedarf können Ihre Tiere daraus nicht unbedingt decken, wenn sie ein variantenarmes Futter mit Zusätzen oder gar Pellets erhalten. Der Bedarf an sekundären Pflanzenstoffen fällt dabei quasi völlig hinten runter. Sie kommen in den Zusätzen praktisch nicht vor oder nur isoliert als Einzelstoff. Dabei ist bei vielen sekundären Pflanzenstoffen bis heute nicht klar, welcher warum welche Wirkung entfaltet, da sie sich als Stoffgemisch in der Pflanze gegenseitig beeinflussen – und die gewünschte Wirkung von einem Einzelstoff vielleicht gar nicht erreicht werden kann.
Da der Körper die meisten kritischen Stoffe für Tage bis Monate speichern kann, ist eine schwankende Aufnahme bestimmer Inhaltsstoffe auch nicht problematisch. Enthält Ihr Futter grundsätzlich alle wichtigen Stoffe, werden Ihre Mäuse sie auch in ausreichender Menge und rechtzeitig aufnehmen.

Vor allem Pellets und Extrudate haben neben der mangelnden Orientierung am tatsächlichen Bedarf noch einen weiteren Nachteil: Es gibt jeden Tag dasselbe. Stellen Sie sich vor, Sie bekämen Ihr Lieblingsessen für den Rest Ihres Lebens als einziges Gericht vorgesetzt. Dann wäre es ziemlich schnell nicht mehr Ihr Lieblingsessen, sondern hinge Ihnen einfach nur noch zum Halse raus. Das geht Mäusen bei einem solchen Einheitsbrei nicht anders. Auch sie genießen lieber die Abwechslung.

Supplementierte Futtermittel haben noch einen Nachteil: Sie sind meist recht nährstoffdicht. Um die zum Überleben nötige Menge zu fressen, brauchen Ihre Nager also nicht besonders lange. Ein mehr oder minder großes Beschäftigungsvakuum entsteht. Besonders deutlich wird das im nebenstehenden Beispiel.

Selektion - Beispiel Stachelmäuse
Sie haben zwei Möglichkeiten, Ihre Stachelmäuse zu ernähren: mit einem komponentenarmen, dafür supplementierten Grundfutter oder mit einer sehr artenreichen Saatenmischung, die mit Trockenkräutern ergänzt ist.
Beim supplementierten Grundfutter erhalten Ihre Tiere alle Basisnährstoffe, die sie laut wissenschaftlicher Bedarfsanalyse brauchen. Ein Zufüttern wird als nicht nötig proklamiert. Ihre Mäuse sind mit allen Grundstoffen versorgt, wenn auch nicht notwendigerweise über die Saaten und anderen Komponenten, die ihrem natürlichen Fressverhalten nahekommen. Trotzdem sind die Tiere zu dick und zeigen Verhaltensauffälligkeiten.
Beim komponentenreichen Futter verbringen die Tiere mehr Zeit mit der eigentlichen Selektion, aber auch mit dem Schälen und Fressen der Bestandteile. Zudem nähern sich solche Mischungen deutlich stärker dem natürlichen Fressverhalten von Stachelmäusen an mit vielen Feinsaaten (die jedoch oft nicht billig zu haben sind). Sie müssen zu diesem Grundfutter jedoch noch zwingend Frischfutter und Insekten als Proteinfutter anbieten, um den Nährstoffbedarf komplett zu decken. Bei dieser Fütterung haben die Tiere ein gesundes Gewicht, verbringen relativ viel Zeit mit der Nahrungsaufnahme und zeigen keine durch Langeweile induzierten Verhaltensauffälligkeiten.

Was verfälscht das Selektionsprinzip?

Einige Zutaten in einer Futtermischung können das natürliche Selektionsverhalten beeinflussen. Das kann mitunter gewollt sein – etwa bei Flocken. Oft ist es jedoch nicht erwünscht. Achten Sie also darauf, dass eine auf Selektion ausgerichtete Mischung die nachfolgenden Komponenten und Merkmale nicht aufweist.

Pellets
  • zwingen zur Aufnahme eines vorgegebenen Nährstoffmixes
  • zwingen zur Aufnahme aller enthaltenen Nähr-, Begleit- und Füllstoffe
Extrudate
  • zwingen zur Aufnahme eines vorgegebenen Nährstoffmixes
  • zwingen zur Aufnahme aller enthaltenen Nähr-, Begleit- und Füllstoffe
Flocken
  • leicht zu fressen -> werden oft bevorzugt
  • erhöhen die Kalorienaufnahme
  • senken Beschäftigungszeit mit dem Futter
  • verschieben Fressverhalten hin zu geflockten Bestandteilen
unausgewogene Mischungen
  • ermöglichen keine sinnvolle Selektion
  • gehen oft am eigentliche Bedarf vorbei
  • häufig aus billigen Grundstoffen gemixt
schlechte Futterqualität
  • Gehalt an wertvollen Inhaltsstoffen geringer (z. B. weniger sekundäre Pflanzenstoffe, Abbau von Vitaminen)
  • Veränderung von Inhaltsstoffen (z. B. Ranzigwerden von Ölen und Fetten)
Flocken in Futtermischungen
Geflockte Futterbestandteile können einen unerwünschten Einfluss auf die Selektion haben, da auch gesunde Tiere sie bevorzugen, weil sie leicht zu fressen sind. Genau dieser Effekt kann bei sehr jungen, bei kranken und auch bei älteren Tieren aber durchaus gewünscht sein. Ob Flocken in einer Selektionsmischung sinnvoll und richtig sind, hängt also von den Nagern ab, die sie bekommen sollen.

Was macht ein gutes Mäusefutter aus?

Um das natürliche Selektionsverhalten Ihrer Tiere zu unterstützen, ist wichtig, dass Sie das Fressverhalten und die natürlichen Nahrungskomponenten der wilden Verwandten kennen (-> nachzulesen im jeweiligen Steckbrief). Diese geben Ihnen eine Orientierung, wie das Buffet für Ihre Heimtiere aussehen sollte.
Bevorzugen Sie bei fertigen Mischungen solche mit möglichst vielen verschiedenen Einzelkomponenten und achten Sie auch beim Selbermischen auf eine möglichst hohe Varianz der Zutaten.
Wesentlich ist auch die Qualität der Komponenten. Diese sollten möglichst frisch und hochwertig sein. Eine gute Qualität erkennen Sie unter anderem an kräftigen, für die jeweilige Komponente typischen Farben und an einem typischen, mitunter sehr gut wahrnehmbaren Duft. Riechen Komponenten dagegen ranzig oder (fast) gar nicht (mehr), obwohl sie duften sollten, sind sie überlagert – also schlicht alt. Achtung: Getrocknete Insekten riechen für den Menschen fast immer unangenehm. Das ist normal. Wie ranziges Fett sollten aber auch sie nicht riechen.
Zu guter Letzt sollte ein gutes Futter für Mäuse sehr staubarm sein und wenig Gebrösel enthalten, da Ihre Nager damit nichts anfangen können.

Wichtig: Es gibt Arten, bei denen klassische Trockenmischungen nicht das Grundfutter bilden. Dazu zählen Zwergschläfer, Rüsselspringer, Spitzmäuse und stark insektivore Nager wie Goldstachelmäuse und Fettschwanz-Rennmäuse. Auch für sie gilt das Buffet-Prinzip: Abwechslung und Variantenreichtum sind Trumpf. Sind es hier möglichst viele verschiedene Insekten, dazu evtl. Ei und Fleisch und je nach Art eine große Bandbreite an frischen Pflanzenteilen, Obst und/oder Gemüse.

Gutes Mäusefutter im Überblick
Rötelmaus adult

Letztes Update: 17.11.2023