Au weia! Meine Maus hat meine Schokolade angefressen … Stirbt die jetzt!?!? Liest man manche Panikmachen, ist man jetzt geneigt zu sagen: Ja. Jetzt gleich. Und ganz, ganz grauenvoll! Warum aber fressen dann wilde Mäuse fröhlich die Schokolade aus der Falle, mit der mancher Zeitgenosse sie zu fangen sucht – und liegen nicht tot daneben? Ihr ahnt es schon: Es ist doch ein bisschen komplizierter als “Schokolade ist totaaaaal giftig für Mäuse”.
Das – vorgebliche – Problem
Dass man Mäuse nicht mit Schokolade füttert, weil das mal definitiv nix mit einer gesunden, naturnahen Ernährung zu tun hat, sollte jedem halbwegs einsichtigen Halter selbsterklärend sein. Darüber hinaus gibt es aber die Fraktion, die dazu noch drei Zeilen gelesen hat und jetzt alle Welt darüber belehren muss, “dass Schokolade pures GIFT für Mäuse” ist.
Wer Schokolade regelmäßig füttert, der hat das mit der gesunden, artentsprechenden Ernährung mal definitiv nicht verstanden. Geht es aber nach unseren Wissensgurus, vergiftet derjenige schleichend seine Tiere – denn Theobormin kann “von den Mäusen im Körper nicht abgebaut werden”.
Das Stück Schokolade in der Mausefalle führt denn auch gleich zum toxischen Schock, will unsere Alarmmeldung wissen. Dass die Mäuse eher neben der Schokolade liegen, weil sie sich über diese Behauptung totgelacht haben, wäre jetzt unrealistisch zu behaupten. In der Regel sind die Mäuse nämlich wieder weg, wenn der Fänger nach der Falle schaut – oft mit der Schokolade.
Ihr wisst, wie ich solche reißerischen “Aufklärungsposts” liebe. Schauen wir also mal genauer hin, was es mit dem puren Gift wirklich auf sich hat.
Ein bisschen Chemie …
Theobromin ist ein Stoff aus der Stoffgruppe der Methylxanthine. Die wiederum zählen zu den Alkaloiden, organischen Stoffverbindungen, die meistens ab einem gewissen Level giftig sind und das in der Regel auch mit einem widerlich bitteren Geschmack kundtun. Zu der illustren Gesellschaft gehören unter anderem auch Koffein und Theophyllin. Kurz, wir reden hier über Schokolade, Kaffee und Tee.
Und eben vor allem die Schokolade kennt wohl jeder Hunde- und Katzenbesitzer als böses, bööööööses Zeug, das man nicht nur aus Gründen der eigenen Umfangsvermehrung nicht im Haus haben sollte. Nun sind Mäuse aber weder Hunde, noch Katzen. Und auch wenn das für manche Blitzbirne keinen Unterschied macht – real macht es schon einen. Aber dazu später mehr. Erstmal müssen wir rechnen.
… ein bisschen Mathematik …
Die LD50-Dosis ist die Dosis, bei der 50% der Tiere sterben, die einen bestimmten Stoff zu sich nehmen. Das wären für Theobromin 837 mg/kg für die orale Gabe und 530 mg/kg für die subkutane bei Farbmäusen, mit denen diese Dosis i. d. R. ermittelt wird, wenn “Maus” dransteht. Da Mäuse sich die Schoki wohl eher nicht spritzen, ignorieren wir für unsere Rechnung letztere mal und rechnen mit den 837 mg/kg weiter. Selbst die dickste Maus erreicht kein Kilogramm. Rechnen wir diese LD50-Dosis also mal auf die wohlgenährte 50g-Durchschnittsmaus um, wären wir bei rund 42 mg (41,85 mg, für die, die es genau wissen wollen), die 50% aller mäusischen Schokoholics ins Nirvana schickt. Bei 25g-Leichtgewichten wären es sogar nur rund 21 mg.
Au weia! Also ist der Biss in die Schoki doch tödlich toxisch? Aber Mooooooooment mal … Wie viel von dem Zeug ist in Schoki eigentlich drin? Spoiler vorneweg: in weißer Schoki quasi nix. Beim Rest schwanken die Gehalte teils erheblich – weshalb wir vorsichtshalber mit den möglichen Höchstmengen weiterrechnen.
Milchschokolade enthält bis zu 2,3 mg je Gramm Schokolade, Zartbitter bis zu 8,8 mg/g, Halb- bzw. Edelbitter bis zu 13,6 mg/g und Bitterschokolade bis zu 15,2 mg/g. Für Nutella habe ich leider keinen Theobromingehalt gefunden. Da der Kakaoanteil aber unter 8% rumkrebst, siedeln wir das jetzt einfach mal ein Stück unter Milchschokolade an. Da deren Kakaoanteil meist so um die 30 % rumwabert, liegen wir für Nutella mit Sicherheit unter 2,3 mg je Gramm.
Wie viel Schokolade müsste eine Maus also fressen, um mit 50%iger Wahrscheinlichkeit tot umzufallen? Nehmen wir mal die Edelvollmilch im Quadratformat. Das sind 16 Stück á 6,25 g. Ein Stück Schoki hat also in unserem abstrahierten Beispiel 14,4 mg Theobromin. Die besagte 50g-Durchschnittsmaus müsste also deutlich mehr als ein Stück zu einer Mahlzeit verdrücken, um in die Nähe einer symptomauslösenden Menge zu kommen. Und unsere 25g-Winzigmaus müsste auch ein Stück am Stück verdrücken, um bedenkliche Werte zu erreichen.
Bei 90% Bitterschokolade hätte ein Stück dann schon 95 mg. Au weia! Japp, die Maus, die das Stück frisst, wäre todsicher hinüber. Aber wir erinnern uns? Methylxantine sind bitter. Bitter signalisiert auch Mäusen “giftig”. Von was werden sie also wohl kaum in ganzes Stück verdrücken? Genau … Hier kommt die Alltagslogik zum Zuge, an der es bei manchem Exemplar der Art Homo non-sapiens mitunter deutlich klemmt. Am liebsten mögen Mäuse nämlich tatsächlich Schokocremes und Milchschokolade und auch davon fressen sie keine Menge, in die wir uns auf den Menschen umgerechnet bis zum Knie quadratisch praktisch einbetonieren könnten.
… und ein bisschen Stoffwechsel
Na? Raucht der Kopf schon oder seid Ihr noch da? Dann geht es jetzt gleich weiter mit dem vorgeblichen Supergift für Mäuse im Stoffwechsel derselben. Die CliniTox stellt lapidar fest: “Theobromin ist ein Metabolit von Coffein.” Heißt, der Mäusekörper macht aus Koffein selbst Theobromin. Wer also Kaffee an sein Mäuschen füttert, füttert ihm indirekt Theobromin.
Moment … Kaffee … Da war doch was!? Genau, geilstes Notfallmedikament bei Kreislaufproblemen und Atemnot, wenn man keine erweiterte Haus… äh … Mausapotheke besitzt. Also ist Schoki ein Medikament? Nicht ganz … In der Praxis lässt sich Kaffee deutlich einfacher und gezielter dosieren und ist ausreichend als sicher erprobt. Also Griffel weg von Schoki-Experimenten!
Aber, wenn ich das öfter mache oder meine Maus öfter Schoki nascht, dann stirbt sie ganz bestimmt. Weil die Warnung sagt ja deutlich, Mäuse können Theobromin nicht abbauen. An dieser Stelle kann ich dem Autor des Pamphlets nur unterstellen, in Deutsch nicht die hellste Kerze auf der Torte zu sein – denn sonst wüsste er/sie, dass “wird verzögert abgebaut” nicht heißt “wird gar nicht abgebaut”.
Das heißt nur, dass sich der Stoff trotz des extrem schnellen Stoffwechsels von Mäusen vergleichsweise lange im Körper hält und sich deshalb bei wiederholter Aufnahme innerhalb kürzerer Zeitfenster ( z. B. innerhalb von 12 bis 24 h) aufaddieren kann. Das heißt aber explizit nicht, dass für immer drin bleibt, was einmal drin ist.
“Aber der toxische Schock …
… das ist doch bestimmt gefährlich.” Wäre er vielleicht – wäre er denn existent. Es gibt jedoch nur diverse Schockzustände durch Vergiftung (z. B. kardiogener Schock) oder eben das Toxische Schocksyndrom (TSS). Letzteres ensteht allerdings durch bakterielle Exotoxine – die man eher nicht in Schokolade findet. Mit Theobromin hat das TSS also rein gar nichts zu tun.
Schockzustände nach einer Vergiftung mit Theobromin können auch im Verlauf eines sogenannten sympathikomimetischen Syndroms entstehen. Dieses Syndrom ist unter anderem mit Blutdruckanstieg, Krämpfen und Herzrasen verbunden – Symptome, die auch eine akute Theobrominvergiftung zutage fördern könnte. Bei Tieren lassen sich außerdem Unruhe, unkoordinierte Bewegungen, Zittern, erhöhte Urinausscheidung und verschlechtertes Allgemeinbefinden beobachten.
Das Problem: Bildet eine Maus wirklich Symptome aus, könnt Ihr abgesehen von Infusionen wenig tun, da die wenigsten Tierärzte mit den etwa beim Hund angewendeten Medikamenten bei Mäusen Erfahrung haben und diese sich auch nicht so einfach für die passende Dosis umrechnen lassen. Die Erfahrung hab ich übrigens trotz so einiger mausiger Schokoholics über die Jahre auch nicht – da ich schlicht noch nie eine Maus mit Vergiftungserscheinungen nach Schoki hatte.
Was also tun, wenn (m)eine Maus die Schokolade angefressen hat?
Hat sie nur mal rein- oder zwei-, dreimal abgebissen, atmet Ihr einfach tief durch, schimpft den Schokodieb und räumt die Schokolade dahin, wo er das nächste Mal nicht dran kommt.
Habt Ihr jedoch Bedenken, der Zwerg könnte zu viel genascht haben, könnt Ihr den vierbeinigen Schokoholic vorsichtshalber entgiften. Das gilt auch für Mausexoten als Vorsichtsmaßnahme, falls diese mal flüchten und den Süßkram finden. Für exotische Mäuse gibt es nämlich keine Daten zu Toxizität und Verträglichkeit.
Die orale Entgiftung könnt Ihr dann mit dem machen, was hier der zweibeinige Krümel “schwarzer Joghurt” nennt. Das Gemisch besteht aus einem Teil Dysticum und zwei Teilen Naturjoghurt – gut verrührt, versteht sich. Was nicht wirklich lecker aussieht, schmeckt eigentlich nach nix, räumt aber den Darm gründlich durch und jegliche Giftstoffe (Vorsicht: auch Medikamente!) raus. Im Idealfall frisst es der “Patient” freiwillig. Soweit möglich und nötig, könnt Ihr das Zeug aber auch mit Obst oder Ähnlichem aromatisieren, wenn Maus es dann lieber mag.
Was vom Supergift übrig bleibt
Nicht viel, würde ich mal subsummieren. Ja, in höheren Dosen ist es wirklich nicht gesund und kann böse Vergiftungserscheinungen machen. Da Theobromin aber an sich nicht besonders lecker ist, mögen Mäuse Schokolade mit höherem Theobromingehalt ohnehin nicht.
Mit der Milchschokolade oder einem Klecks Schokocreme könnt Ihr aber durchaus wilde Nager fangen, um sie rauszukomplimentieren – ohne ihnen zu schaden. Und bei manchem Wildnager hilft nur Schoki, weil nur das bis in die Falle lockt. Den Tipp “nimm Schokolade, um die Maus zu fangen” könnt Ihr also beherzigen, wenn Maus mit nix anderem zu locken ist – ohne den Zwerg zu vergiften. Ihr müsst ja keinen Schokoberg in die Falle legen – ein Stückchen vom Stückchen reicht. 😉
Zahlenquelle: CliniTox – Methylxantine