Orniflox ist der Handelsname für ein Enrofloxacin-Präparat. Enrofloxacin!? Japp … Genau der Wirkstoff, den viele von Euch vermutlich noch als den Klassiker “Baytril” oder unter einem anderen Handelsnamen kennen. “Das ist doch das Antibiotikum für Mäuse. Und das hilft doch meistens echt gut. Was hat sie denn bloß neuerdings dagegen?”, wird jetzt manch einer denken. “Nix wirksames”, bin ich versucht zu sagen. Dazu dürft Ihr Euch einen inzwischen massiv genervten Unterton vorstellen.
Warum Tierärzte Orniflox verordnen
Rechtliche Vorgaben knebeln selbst wohlwollende Tierärzte, denn fasst man es zusammen, läuft das Phänomen aus Tierarztsicht auf einen einfachen Fakt raus: Gibt es ein Präparat mit dem gewünschten Wirkstoff, das für die Zieltierart (hier: Nagetiere) zugelassen wurde – also ein aufwändiges und teures Zulassungsverfahren durchlaufen hat – muss der Tierarzt dieses auch bei den betreffenden Tieren anwenden. Greift er zu einem sinnvolleren Präparat – etwa Baytril, Enro-Sleecol oder sowas – wäre das eine Umwidmung. Und die müsste er im Zweifel begründen, wenn ihm die Aufsicht deshalb an den Karren fährt. Folgt die Aufsichtsbehörde der Begründung für die Umwidmung nicht, kann für den Tierarzt ziemlich die Luft brennen.
Kein Wunder also, dass so mancher Doc nur noch diese unsägliche Plörre ausgibt. Im Zweifel solltet Ihr also auch bisschen Verständnis für Euren Doc und seine Bredouille haben – auch wenn sie Euch und Euren Patienten das Leben deutlich schwerer macht, als es sein müsste.
Hallo Dechra! Was habt Ihr Euch dabei gedacht!?
Faltet man den Beipackzettel für Orniflox auseinander und studiert ihn, stellt man fest: Die Plörre ist für Reptilien, Vögel, Kaninchen und Nagetiere zugelassen. Soweit, so fein. Endlich entdeckt Big Pharma auch die Nagetiere, die sonst quasi nur mit Umwidmungen überleben müssen. Liest man den Beipackzettel aber weiter, fragt man sich schon wieder, ob bei Dechra eigentlich mal jemand über die praktische Umsetzung der Frage “Wie kommt das Medikament in die Maus?” meditiert hat.
Aus meinem Beratungsalltag würde ich das mal ganz entspannt mit “nein” beantworten. Im Beipackzettel steht als Gabemodus nämlich für Nagetiere: “Per Schlundsonde zu verabreichen.” Ob man bei Dechra versteht, warum mir bei diesem Satz reflexartig hysterisches Gelächter entfleucht?
Per Schlundsonde … Aha!?
Für die meisten Mäusehalter ist schon die Gabe direkt ins Maul eine Herausforderung, an der so Mancher trotz einiger Bemühungen regelmäßig scheitert. Ob mir die Blitzbirnen, die die Plörre entwickelt haben, mal erklären können, wie das dann mit der Schlundsonde gehen soll? Das würde nicht mal ich mich trauen. Und ich kann selbst mit winzigsten Knirpsmauskindern Fingerakrobatik wie subkutane Injektionen recht problemlos veranstalten. Aber mit einer Schlundsonde in die Speiseröhre? Das kann und macht man im Labor vielleicht. Aber welcher Otto-Normal-Maushalter soll das bitte hinkriegen? Wenn ich mich über so viel Hirnriss noch ein bisschen weiter ärger, frag ich Euch bei Dechra vielleicht wirklich mal, wie Ihr Euch das vorstellt.
“Medikiertes Trinkwasser”
Medi… was!? Ja, weiter unten bei den Vögeln steht dann auch was von medikiertem Trinkwasser – sprich Wassergabe. Orniflox hat 2,5% Wirkstoffgehalt. Heißt also wie bei allen anderen Enrofloxacin-Präparaten: 1ml Präparat auf 30ml Wasser für Farbmäuse. Das kriegt jeder Halter auch mit den scheuesten Farbis hin. Prima! Problem gelöst? Nicht ganz …
Antibiotika sind kein Hustensaft. Die sollten nur ins Tier, wenn sie das unbedingt müssen und nach Möglichkeit auch nur in die bedürftigen Patienten. Und wie mach ich das dann mit der Wassergabe? Patient von der Gruppe separieren? Saublöde Option! Wegen einem Schnupfer alle mitsaufen lassen? Auch nicht gescheiter …
Orniflox im Wasser ist also nur dann die Lösung, wenn eh die ganze Sippe piffelt, was das Zeug hält. Eine Antibiose wegen Wundinfektionen oder anderen Diagnosen fällt zur Behandlung also von vornherein aus mit dieser Plörre – zumindest, wenn man nicht bei Dechra arbeitet und Schlundsondengabe bei Mäusen kann.
Auch bei Wenigtrinkern wie Wüstenspringmäusen, Fettis oder Maushamstern wird das mit dem Wasser schon wieder tricky. Wie viel Plörre muss ich da mit Wasser mischen? Und was, wenn die holde Sippschaft das Wasser dann verschmäht. Als die Herrschaften bei Dechra das mit dem Wasser geblitzthirnt haben, hatten sie wohl nicht auf dem Schirm, dass es Nagetiere gibt, die es sich durchaus leisten können, nur unregelmäßig zu trinken, wenn das Wasser plötzlich die Qualität von Ätznatron hat.
Der nervige Alltag
Nachdem die Wassergabe laut Beipackzettel ja eh nur für Vögel ist und die Schlundsondengabe selbst dem in Mäusen unerfahrensten Tierarzt vermutlich wenig erfolgversprechend sein dürfte, behelfen sich die meisten Docs mit “verdünnen Sie das 1 zu 4 und geben Sie es oral ein”. Je nach Indikation und Größe des Nagers müssen ca. 0,05 ml (aka “1 Tropfen”) bis über 0,2 ml der Lösung ins Tier. Das sind dann also schon 0,2 ml bis 0,8 ml und mehr, die pro Gabe in die Maus müssen. Liebe Entwickler bei Dechra: Für einen Laien ist das Wahnsinn, so viel in das Tier reindrücken zu müssen! Habt Ihr mal die Zunge an dem Kram gehalten? Der schmeckt auch als alkalische Lösung immer noch nicht besser. Entsprechend hält sich die Begeisterung der Patienten in Grenzen, das freiwillig zu fressen.
Für Maus und Halter bedeutet das nicht nur unnötigen Stress, sondern auch, dass oft genug nicht die nötige Menge im Tier verschwindet. Die wäre aber wichtig, weil wir hätten ja gern ne Wirkung, statt dem Tier beim Siechen zuzugucken und fleißig Resistenzen zu züchten. Und ja, es sind schon einige Mäuse gestorben, weil die Halter nichts anderes als Orniflox bekommen haben. Das ist einer der Gründe, liebe Dechra, warum ich Eure Plörre nicht mag.
Da klingt dann dieser Absatz im Beipackzettel wie der blanke Hohn: “Um die Inhalation des Medikaments zu vermeiden, sollte beim Fixieren des Tiers und bei der
Verabreichung des Tierarzneimittels Vorsicht angewandt werden.” Newsflash für Euch realitätsfremde Elfenbeintürmler: Die meisten Halter sind schon froh, wenn sie ihr Tier überhaupt irgendwie fixiert kriegen. Hat das bei Euch denn mal wer bedacht, dass nicht nur Labortierpfleger Mäuse halten?
Das Ding mit der Dosierung
Ein anderer Grund ist: Die Dosierung haut im Gros der Fälle nicht hin. Ja, je nach Medium kann die nötige Konzentration unterschiedlich sein. Aber 5mg/kg? Die Praxis sagt: Nö, reicht nicht. Braucht mindestens die Menge, die die Literatur auch sonst für den Wirkstoff und Mäuse durchschnittlich ausgibt, nämlich 10-15 mg. Da sind wir dann schon wieder bei den irrwitzigen Mengen und der Frage, wie ein Laie das in der Maus versenken soll. Dass dann in 7 Tagen alles erledigt sein soll, habt Ihr dann sicher auch über den Daumen gepeilt. In der Praxis hängt das nämlich stark a) von der Erkrankung ab, b) vom Immunsystem des Patienten und c) von der Schwere der Erkrankung und ihrer Dauer vor Behandlungsbeginn. Wundern wir uns also nicht, wenn die Plörre den Infekt, der schon seit 12 Wochen in einem gerade übernommenen Notfellchen gärt, nicht nach Vorschrift in einer Woche rausekelt.
Bös… äh … sehr persönliches Fazit
In Eurem Beipackzettel, liebe Dechra, schreibt Ihr so schön:”Die Behandlung sollte überdacht werden, wenn keine Verbesserung festgestellt wird. Es wird allgemein empfohlen, die Behandlung neu zu bewerten, wenn innerhalb von 3 Tagen keine klinische Verbesserung beobachtet wird.” Ich würde viel eher die generelle Anwendung dieser Plörre bei Mausartigen und anderen kleinen Patienten überdenken. Nicht nur ein Tier hat Eure “tolle” Erfindung schon mit dem Leben gebüßt. Und warum? Weil die Anwendung einfach Meilen von “praktikabel für Laien” entfernt ist. Orniflox ist und bleibt in meinen Augen eine Zumutung für Mensch und Maus!
Zahlenquelle: CliniTox – Methylxantine