“100 Mäuse im Müllsack gefunden!” “Wohnungsräumung – u.a. 120 Mäuse dabei!” “Überforderter Halter gibt 20 Vielzitzenäuse ab – 15 davon schwanger!” Großnotfälle sind immer ein Event. Die Einen fallen bei solchen Meldungen innerlich kurz in Ohnmacht, bevor sie in die Hände spucken. Die Anderen packen Klappstuhl und Popcorn aus. Und los geht’s. Im Falle von Mäusegroßnotfällen reden wir eben nicht von 10 oder 20, sondern oft von 100 oder 200 Tieren. Das klingt viel, das klingt dramatisch, da muss das Spotlight drauf. Und schon steht die Mausgemeinde Kopf.
Perfektion ist relativ
Am liebsten sind mir in solchen Momenten ja die Klugscheißer, die selber noch nie so einen Notfall vor Ort mitgemacht haben, aber ganz genau wissen, wie man jetzt vorzugehen habe und was man machen müsse. Alle Tiere sortieren – nach Arten und Geschlechtern. Kranke Tiere behandeln. Die Mausflut unterbringen und das, natürlich artgerecht. Hamsterknäste gehen schließlich gar nicht. Und fressen wollen die auch noch was. Das muss natürlich alles in höchster Perfektion ablaufen, wenn sich die Helfer nicht hinterher nachsagen lassen wollen, schlechte Arbeitet geleistet zu haben oder gar Tierquäler, planlos und überhaupt völlig unfähig zu sein.
Newsflash, liebe Klugscheißer: Kein Großnotfall läuft perfekt! Irgendwas ist immer und in der Regel ist das, was nicht perfekt läuft, eines der kleineren Übel, unter denen man frei wählen konnte. Viele wollen nämlich helfen, nur wenige können vor Ort sein und nicht immer sind es die mit dem größten Mausknowhow, die da an vorderster Front stehen. Manchmal fehlen Unterbringungskapazitäten, manchmal kompetente Tierärzte, mit Mäusen erfahrene Helfer, Käfige, ordentliches Futter, etc. Was also tun, wenn man ohne Ahnung und/oder Ressourcen mit einer Unzahl an Tieren da steht, die man in seinem Leben vielleicht noch nie gesehen hat? Oder was, wenn man als Helfer per Telefon alles vorbereitet hat und die Situation vor Ort eine ganz andere ist? Alles schon vorgekommen.
Geht es nach den Perfektionisten, darf es keine Kompromisse geben. Wer nicht perfekt ist, steckt bitte die Hände in die Hosentaschen und wartet auf … Ja, worauf eigentlich? Wunder dauern meistens länger als eine Maus lebt. Deshalb gibt es Pannen bei der Arten- und Geschlechtersortierung, falsches Futter, Miniknäste oder schlecht gelüftetete Aquarien und vielerlei Undinger mehr. Manchmal sind die Helfer vor Ort zu bequem, manchmal sind ihnen die Mäuse einfach egal – in der überwiegenden Mehrheit der Fälle geht es in dem Moment aber nicht anders oder sie wissen es nicht besser. Pannen passieren. Lebt damit! Und passt bitte auf, wenn Ihr den moralischen Zeigfinger erhebt, dass Ihr die praktische Hilfe vor Ort da noch dran pinnt. Wer nämlich nur mosern kann, hält doch bitte gleich ganz die Klappe. Das brauchen Maus und Mensch nicht – sie brauchen Hilfe!
Sitzenbleiber garantiert
100 Mäuse! So prangt es in Foren, auf Facebook, über Twitter, Pinterest und was es sonst noch so an sozialen Medien gibt. Ruckzuck gibt es zahlreiche Platzangebote. Die armen Mäuse, die müssen ja da raus. Und schwupps, binnen kürzester Frist ist die Mehrheit der Flauschbeine in schöne, neue Gehege verschwunden. Das passiert in der Regel innerhab von 4 bis maximal 8 Wochen.
Wer den Sprung aus dem Tierheim oder der Pflegestelle dann nicht geschafft hat, hat ein Problem. Bei Farbmäusen sind das die (oft unkastrierten) Soloböcke, die am dümmsten aus der Wäsche gucken. 100 Mäuse sind eine Nachricht, eine Sensation. 100 Mäuse, das geht ans Herz. 100 Mäuse, da rücken alle noch ein wenig zusammen, um die Not zu lindern. Warum nicht auch bei einer Maus?
Eine Maus ist normal. Eine Maus ist egal. Eine Maus geht unter – denn eine Maus ist kein Event, keine Sensation und kein so offensichtliches Drama. Eine Maus leidet still. Wenn ich Nerv, Luft und Platz habe, gehe ich ja immer mal wieder rum und gucke, was in den Tierheimen so als Dauersitzer klebengeblieben ist, um die dann einzusammeln. Und dabei hab ich schon sooooo oft diese Phrase gehört: “Die sind noch vom Notfall XYZ vom letzten/vorletzten Jahr.” Da sitzen die traurigen Gestalten – manchmal allein, manchmal in Duos oder kleinen Grüppchen. Ein Jahr, 1,5 Jahre, zwei Jahre. Und kein Hahn kräht mehr nach ihnen. Auch die erhobenen Zeigefinger nicht.
So geschehen zu Duisburg 2015
Ist ja nicht mehr dringend. Irgendjemand wird sich schon drum kümmern. Und weil alle so denken, ist es, wie es ist. Würde ein Tierheim oder eine Pflegestelle jetzt böse drohen: “Wir müssen die leider verfüttern, wenn die nicht bis zum … weg sind.” Ihr glaubt gar nicht, wie schnell die plötzlich unter wären. Da ist es ja wieder akut, eine Meldung, emotional – dringend eben. Da rückt man wieder zusammen. Weil Tierheime und Pflegestellen sowas aber nicht tun, bleiben ihnen die armen Socken erhalten. Lange. Sehr lange. Manchmal von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod.
Bestes Beispiel: August 2015, Großnotfall Duisburg. Knapp 70 Vielzitzenmäuse plus Babys, die noch unterwegs waren. Über 100 Mäuse zum Schluss. Die wurden fröhlich auf verschiedene Tierheime im Umkreis verteilt. Wer in einem dieser Tierheime landete, hatte Glück. Wer in Duisburg bliebt, war plötzlich weg. Entsorgt. Ein Aufschrei ging durch die Mausgemeinde. Wenn man das gewusste hätte, hätte man doch … Man hat es aber nicht gewusst. Die Mäuse sind also weg – genauso wie der Rest noch da ist – nur eben nicht mehr als Riesengruppe, sondern mehrere Grüppchen, verteilt auf verschiedene Tierheime. Immernoch rund 50 Tiere. Und nun schaut mal in den Kalender! Naaaa, merkt Ihr was? Kaum eine Nase ist vermittelt. Sitzen ja alle warm und trocken – im Tierheim. Keiner schlägt die Hände über dem Kopf zusammen oder stampft noch ein paar Plätze aus dem Boden. Und so schmoren sie im Tierheim … und schmoren … und schmoren …
Deshalb mein Appell an Euch: Auch wenn die großen Zahlen schrumpfen, vergesst die Letzten nicht. Wenn alle denken, dass sich schon jemand kümmert, kümmert sich nämlich keiner!
Diesen Post widme ich den Duisburger Vielzitzenmäusen in den Tierheimen
- Essen (noch 30 Mäuse, Update: Ich hol sie alle am Sonntag, die Meisten haben schon nen Platz)
- Gelsenkirchen (Anzahl unbekannt)
- Dülmen (7 Mäuse)
- Recklinghausen (7 Mäuse)
Falls Ihr weitere Tierheime mit Mäusen aus diesem Notfall kennt, schreibt sie mir bitte in die Kommentare, damit die Kleinen nicht vergessen werden. Danke! 🙂
Was ist denn mit den mausels passiert , die in Duisburg geblieben sind? O.o
Sie wurden entsorgt. :'(
Scheinbar. 🙁 Entsorgt hat sie das Ordnungsamt – also ganz offiziell.