Also manche Leute gehören doch echt erschlagen! Meint Ihr nicht? Nicht? Ich schon! Nicht genug, dass die Pfütze Selbstmitleid von nebenan wieder über meinen Flur gedümpelt ist. Daran gewöhnt man sich auch – irgendwann. Aber jetzt ist unten bei uns eine eingezogen im ersten Stock. Mein lieber Schwan! Mit der werden wir noch viel Spaß haben.
Vor vier Wochen hat sie angefangen, vorm Einzug zu renovieren. Mit besitzerstolzgeschwellter Brust hat sie mich im Flur abgefangen, mich durch ihr neues Reich geführt und in den höchsten Tönen schwärmend erklärt, was von ihren Besitztümlichkeiten mal wo hinkommen würde. Ich ließ schweigend und nickend den Redeschwall duldsam über mich ergehen. Ah ja, und da kommt das mintgrüne Sofa mit den rosa Wuschelplüschkissen hin. So so … Sehr interessant! Gähn.
Nach Ende der (Tor)Tour geleitete sie mich zur Tür. An selbiger angekommen machte sie den wohl größten Fehler, den Menschen wie sie bei Menschen wie mir machen können – sie fragte mich nach meiner Meinung. Wer mich kennt, weiß, dass ich in Diplomatie mit einer Sechs sitzen geblieben bin. Und das nur, weil ich den Leuten auch meine ehrliche Meinung sage, wenn sie mich denn schon danach fragen.
Und eben danach hatte die Gute sich grade erkundigt. Ein breites, erwartungsvolles Grinsen ob des kommenden Lobes machte sich schon in ihrem Gesicht breit. Also an mangelndem Selbstbewusstsein litt die Gute offensichtlich nicht – ich aber auch nicht. Als erstes warf ich einen gequälten Blick auf die frisch tapezierten Flurwände. Nicht dass ich generell ein Freund weißer Rauhfaser wäre, aber besser als diese Ansammlung quietschbunter Blümchen, die einem schon bei Betreten der Wohnung das Augenlicht schädigen konnten, ist sie allemal. Den von ihr so eindrücklich beschriebenen knallroten Garderobenschrank mochte ich mir darin gar nicht erst vorstellen!
Dass sie für die Küche eine dezentere Farbgebung gewählt hatte, fand ich zwar überaus menschenfreundlich – aber musste es unbedingt himmelblau sein??? Und dass sie die schöne weiß marmorierte Einbauküche mit grellgelber Folie überklebt hat, konnte ich ihr beim besten Willen nicht verzeihen. Den Fußboden konnte sie dort dankenswerter Weise nicht malern. Gemalert hat sie den Fußboden im Schlafzimmer auch nicht. Aber haben Sie schon mal einen auberginefarbenen Teppich – was ja an und für sich noch kein Verbrechen ist – in Kombination zu einer Sonne-Mond-und-Sterne-Anime-Tapete gesehen, die natürlich dem Lollipop-Bunt-Trend ihres Ursprungslandes folgt? Ich frage mich, wie man in einem solchen Raum überhaupt Schlaf finden soll.
Da es Gott sei Dank nur eine Zweiraumwohnung ist, musste ich mir danach nur noch die Stube antun. Stellen Sie sich mal ein mintgrünes Sofa mit rosa Wuschelplüschkissen zu einer orange getünchten Wand und einem braun-dunkelrotem Teppich mit Retroringeln vor. Kriegt Ihr da keine Fluchtgedanken? Ich schon! Ihre Unterbrechungsversuche geflissentlich ignorierend habe ich meiner lieben, lieben neuen Nachbarin das ganz ruhig und einigermaßen sachlich – also ohne größere Entsetzensbekundungen – mitgeteilt. Dann überließ ich ihr das Wort…
Also, ich wusste gar nicht, was es alles für Schimpfwörter gibt! Aber in zweien muss sie sich getäuscht haben. Der Vollpfosten ist unser Vermieter und wohnt im Erdgeschoss rechts und der geistige Tiefflieger kommt nur ab und zu mal meine Freundin besuchen, weil er immer noch hofft, bei ihr zu landen. Aber jetzt weiß ich wenigstens, dass ich von Wohnungseinrichtung und moderner Architektur (wo ist die in einem über 100 Jahre alten Haus???) null Ahnung habe. Und überhaupt bin ich ja ein Banause und was anderes als meckern kann ich sowieso nicht.
Erstaunlich, wie gut manche Menschen ihr Gegenüber nach 15 Minuten einschätzen können. Ich bewundere solche Menschen. Ehrlich! Ganz besonders bewundere ich sie deshalb, weil sie immer alles richtig machen. Fehler? Machen immer die anderen! Und wenn ich jetzt von der Flurtapete Augenkrebs kriege, ist das natürlich auch meine Schuld! Was hab ich auch so verkorkste Eltern? Na ja … Nachdem sich die gut halbstündige Tirade über mich ergossen und ich schnell eingesehen hatte, dass Kommentierung jeglicher Aussagen über meine Person zwecklos sind, da sie in der frei fliegenden Hirnzelle irgendwo jenseits des Trommelfells doch nie ankommen würden, gelang mir endlich die Flucht.
Erschöpft kroch ich bei meiner Freundin im Nachbarhaus über die Schwelle und wollte gerade anfangen von wegen der neuen Zicke im ersten Stock. Da enthüllte sich mir gegenüber ein schadenfrohes Grinsen. Ob ich die Neue getroffen hätte. Und ob ich wohl Kritik an ihrer Tapete geübt hätte, grinste meine Freundin. Als ich das bejahte, brach mein Herz von Busenfreundin in schallendes Gelächter aus. Wie ich das bloß tun könne bei Miss Perfekt? Ob ich nicht wisse, dass alle anderen Banausen sind. Woher sie das wusste? Sie hatte die Gute vor ein paar Tagen ihre Tapetenrollen zur Tür reintragen sehen – und gefragt, ob im Innenhof denn Sperrmüllsammlung sei …