Exkurs: Kontaktstörungen durch Einzelhaltung

Erscheinungsformen der Kontaktstörung

Kontaktstörungen sind bei Einzeltieren ein sehr häufig auftretendes Phänomen. Allerdings fallen sie erst bei Vergesellschaftungen wirklich auf, bei denen die betroffenen Tiere dann entweder unnatürlich panisch oder auch extrem aggressiv auf fremde Artgenossen reagieren. Die Bandbreite der Ausprägungen reicht hier von Unsicherheit und Schüchternheit bis hin zu Drohgebärden und aggressiver Vortwärtsverteidigung.
Besonders bei frühzeitig vereinzelten, sozial sehr sensiblen oder sehr lange allein gehaltenen Tieren oft zu beobachten sind die extremen Formen der Kontaktstörung. Dabei beißt das betroffene Tier bei jeder Berührung von Artgenossen oder anderen Mäusearten sofort massiv und sehr aggressiv um sich und verbeißt sich mitunter für die Art untypisch heftig und lange in das Opfer. Das Gegenteil mit gleicher Ursache bilden Tiere, die schon beim Anblick, spätestens aber bei einer leichten Berührung von Artgenossen panisch flüchten und nicht selten in ihrer Angst laut schreien.

Mitunter sind die Störungen so schwer, dass die Tiere vor einer Vergesellschaftung regelrecht therapiert werden müssen. Vor allem einsame Farbmausböcke aus Tierheimen sind hierfür potentielle Kandidaten. Da sie meist nicht einmal vom Menschen regelmäßig berührt wurden, reagieren einige Exemplare auf jede Art von Berührung extrem aggressiv oder ängstlich. Aggressive Tiere drohen dabei, z.B. mit Schwanztrommeln, sogar dem Menschen und setzen die Drohung dann auch mit schmerzhaften Bissen um. Ängstliche Tiere wiederum gebärden sich mitunter wie der Natur entnommene Wildtiere. Sie schreien nicht nur bei jedem Annäherungsversuch, sondern flüchten wie Flummis und sind praktisch nicht zu greifen. Werden sie gefangen, beißen viele solcher Mäuse aus purer Panik.

Ursachen von Kontaktstörungen

Eine Ursache solch massiver Störungen liegt in der Tatsache, dass grundlegende Verhaltensweisen, wie etwa eine Abwehrhaltung oder eine Drohgebärde angeboren sind. Einige Verhaltensweisen müssen aber auch erlernt oder ausgebaut werden. Das geschieht im Sozialverband automatisch. Reißt man ein Mäusekind frühzeitig aus seiner Familie, hatte es also nie Gelegenheit, sein Repertoire zu vervollständigen. Das erklärt das häufige Auftreten von Kontaktstörungen bei sehr jung vereinzelten Tieren.

Extrem lange allein gehaltene Mäuse wiederum vergessen einen Teil der erlernten Verhaltensweisen. Die Folge ist, dass die Opfer einer solchen Langzeittortur bei einer Vergesellschaftung überfordert sind. Aus dieser Hilflosigkeit heraus können dann Angst und Aggression entstehen. Sozial besonders sensible Tiere mit solch massiven Störungen sind vor Einsamkeit praktisch „verrückt“ geworden – was einmal mehr die psychische Belastung von Einzelhaltung zeigt.

Resozialisierung

Um den Tieren zurück zu einem normalen Sozialleben zu verhelfen, braucht es vor allem bei schweren Störungen einen sehr erfahren Halter und meist mehrere Wochen, manchmal Monate Zeit.
In der ersten Phase wird dabei erkundet, welcher Reiz die massive Reaktion genau auslöst. In der zweiten Phase wird das Tier dem Reiz wiederholt, regelmäßig und wohldosiert ausgesetzt, bis die Abwehrreaktion darauf nach und nach abklingt. Erst dann lohnt sich ein erneuter Vergesellschaftungsversuch.

Die seltene Kontaktstörung: Kuschelkurs extrem

Ein eher seltenes, besonderes Extrem stellen Mäuse dar, die regelrecht in neugewonnen Sozialkontakten baden. Sie sind in der Vergesellschaftung die einfachsten Tiere, die sich ein Halter wünschen kann und besonders für Anfänger ein absoluter Glücksfall.
Solche Nager haben die wichtigen Züge sozialer Kontakte gelernt und nicht wieder verlernt oder in zunehmender psychischer Belastung verloren. Sie stürzen sich regelrecht auf Artgenossen, um sie exzessiv zu putzen. Eine Aufforderung dafür, wie sie bei Mäusen üblich ist, brauchen sie nicht. Wer vorbei läuft, wird festgehalten und geputzt.
Diese Tiere sind extrem verträglich und bei Farbmäusen nehmen sie auch unkastrierte Böcke mit Begeisterung auf, selbst wenn sie selbst einer sind. Auch die bei Mäusen übliche Geruchskontrolle, ob das Gegenüber zur eigenen Sippe gehört, findet oft nicht statt. Sie harmonisieren die Gruppe, sind immer mitten im Geschehen und blühen sichtlich auf in ihrer Familie.