Sie sind nicht definiert und keiner hat sie je gesehen, dafür gibt es eine Menge Leute, die sich enorm vor ihnen fürchten: stille Mitleser. Es muss eine gar furchterregende Spezies sein, denn ständig wird vor ihr gewarnt. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sie eher ein bequemes Totschlagargument sind, um kreative Geister mundtot zu machen. Zumindest werden sie gern dafür benutzt.
Das kannst Du doch (so) nicht schreiben!
Ich bin von Beruf Online Redakteur. Ich schreibe also eine Menge, nicht nur diesen Blog. Aber es ist doch immer wieder interessant, wie oft ich ausgerechnet für dieses bisschen Seelenhygiene in Schriftform Rüffel kassiere. “Das kannst Du doch so nicht schreiben!” “Du machst ja alles kaputt.” “Du leitest die Leute zum größten Unsinn an.” Wenn man dann fragt, wen denn bloß? Die stillen Mitleser natürlich. Na, logisch! Laute gibt es ja auch nicht. Deshalb heißt es Lesen und nicht Singen.
Diese ominöse Spezies bekommt aber auch wirklich alles in den falschen Hals, wenn man sich mal so durch’s Netz liest. Möchte man ihr Auftreten vermeiden, verfasst man seine Beiträge im Netz am besten in kleinkindgeeigneter Manier mit mindestens 10 Disclaimern und natürlich nur innerhalb eng gesteckter Grenzen (von denen es noch weeeeiiiiit bis zum Tellerrand ist). Welche Grenzen das dann sind, bestimmt derjenige, der mit eben diesen bösen Phantomen droht.
Ja, ich halte und vergesellschafte unkastrierte Farbmausböcke. Nein, Vergesellschaftungen müssen bei mir nicht zwingend länger als ein paar Stunden dauern. Mein Problem mit der “Stiller-Mitleser”-Gebetsmühle an diesem Punkt? Ich gehe von halbwegs intelligenten Lesern aus, die mitdenken und Gelesenes reflektieren. Ich muss also keine Doktorarbeit verfassen, dass man weder unkastrierte Böcke hält noch Blitzvergesellschaftungen macht, wenn es (noch) an der entsprechenden Übung und Erfahrung mangelt. Das macht man eben nur dann, wenn man Mausverhalten auch noch fehlerfrei herbeten kann, wenn man nachts um halb vier aus dem Tiefschlaf geweckt wird.
Lesen will gelernt sein
Lesen und Lesen sind zweierlei. Ja, ehrlich! Das Eine ist das Lesen, das wir in der Schule lernen. Ein Aneinanderreihen von Buchstaben und Worten. Und dann ist da noch das Lesen, das den Inhalt erfasst, versteht und richtig auf die eigene Situation interpretiert.
Es gibt tatsächlich erschreckend viele Menschen, die nur ersteres können. Infos zu verheimlichen, Standardphrasen zu dreschen oder ganze Enzyklopädien als Erklärungen zu einzelnen Sätzen zu verfassen, ändert daran nichts. Leider. Doof bleibt doof, hat mein Mathelehrer in solchen Fällen immer gesagt. Da helfen auch drei Seiten Kontext nichts.
Wer sich kleine Pulverfässer aka Farbmausböcke anschaffen will, wird das tun – egal ob ich hier darüber schreibe oder nicht. Wer meint, das sei bisher ja auch immer ohne Kastra gut gegangen, wird sich so lange von seiner Erfahrung bestätigt fühlen, bis ihm die armen Socken blutspritzend um die Ohren fliegen. Dafür braucht es diesen Blog nicht. Warum also soll ich nicht schreiben, wie mir der Schnabel gewachsen ist?
Mit stillen Mitlesern zur Volksverdummung
“Jaaaa, ich weiß, das ist eigentlich ganz anders – aber die stillen Mitleser …” Wenn ich für jedes Mal, das ich diesen Satz schon gelesen oder gehört habe, auch nur einen Euro bekäme, wären die Kastrakosten der nächsten 10 Jahre locker bezahlt. Es gibt wirklich Sachen, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Dazu zählen für mich zum Beispiel konkrete Anleitungen zum Töten von Tieren.
Mäuseböcke gehören nicht dazu. Genauso wie angeblich giftige Pflanzen, tödlich scharfe Plastiksplitter durch Annagen von Kunststoffinventar und die Daumenregel, Farbmäuse nur dreimal im Leben zu vergesellschaften. Im Namen der stillen Mitleser werden Thesen und Regeln aufgestellt, die einen Wissensstand von vor 20 Jahren zementieren. Das ging schon immer, das muss reichen – so machen stille Mitleser nix kaputt.
Doch was tun, sprach Zeus? Schließlich lässt es sich nicht leugnen, dass es tatsächlich Exemplare der Art Homo non-sapiens gibt, die zum Atmen zu blöd wären, wäre es kein Reflex. Natürlich kann man rückbauen und sich auf die Allgemeinplätze beschränken. Man kann es aber auch sein lassen. Niemand wird jemals etwas verfassen, das wirklich alle zu 100% in den richtigen Hals bekommen.
Deshalb hab ich beschlossen, nicht für stille Mitleser zu schreiben. Ihr da draußen seid für mich intelligente Menschen und zum Mitdenken befähigt. Und genau so schreibe ich in Foren, auf Facebook – und auch in diesem Blog. Allen Leuten Recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann – auch ich nicht. Ich musste mich entscheiden und ich habe mich entschieden. Stille Mitleser bekommen hier kein Abo!
Warum stille Mitleser Leben kosten
Warum regt die sich eigentlich so auf und schwadroniert hier einen ganzen Artikel lang über so einen Dünnpfiff? Weil der Dünnpfiff, der für stille Mitleser geschrieben wurde, schon viel zu viele Mäuseleben gekostet hat! Wie das? Das Stichwort heißt “totkastrieren”. Kastra auf Teufel komm raus.
Jeder Anfänger lernt sofort von informierten Kreisen (also denen, die meine Opis mit (Ver)Schweigepflicht belegen wollen), dass Farbmausböcke sich immer und binnen kürzestem töten, wenn man sie nicht sofort kastriert. Da er es nie differenzierter aufgetischt bekommt, verinnerlicht er genau das – und handelt danach.
Unkastrierte Böcke sind ein No-Go. Keiner will sie, keiner traut sich dran – auch nicht als Bock in einer Kastratengruppe. Will sie dann wer verfüttern, ist das Geschrei groß, haben will sie aber auch keiner. Deshalb wird mitunter kastriert ohne Rücksicht auf Verluste. Stirbt einer, ist das Pech – selbst wenn es vorher aufgrund des Zustandes der Maus schon zu befürchten stand. Aber Ihr wisst ja, unkastriert ist ein No-Go und Zeit zu eventuell nötiger Erholung und zum Kräftesammeln bleibt nicht, weil die Kastra ja sofort sein muss – sagt der Allgemeinplatz für stille Mitleser.
Was stille Mitleser (nicht) über Farbmausböcke wissen
Wird das jetzt ein Plädoyer für die Böckchenhaltung? Ja … Nein … Jein … Guckt nicht so entsetzt. Ich liebe meine Jungs – mit und ohne Eier. Und den intelligenten Mitlesern erklär ich gern mal das Grau jenseits des Schwarzweißes für ihren stillen Gegenpart.
Rund 95% der Farbmausböcke kloppen sich unkastriert eher früher als später, aber zumindest irgendwann mal in ihrem Leben. Hier hilft nur eins … nein, halt, zwei Sachen helfen hier:
1. Kastration
Wer sich nicht benehmen kann, darf Eier abgeben. Das ist hier genauso wie an allen anderen (vernünftigen) Ecken der Mäusehalterwelt. Das erspart den Mäusen und mir viel Stress, ewige Eierei mit der Wundversorgung und das Vereinzeln von Tieren.
2. Vergesellschaftung mit Kastraten
Ist die Kastra nicht indiziert (z.B. durch Alter, Kleinwuchs, Vorerkrankungen, familiäre Vorbelastung, aktuelle Erkrankungen, chronischen Stress oder ähnliches), muss man jetzt nicht – wie gern getan wird – auf Teufel komm raus kastrieren, weil es ohne ja nicht geht. Werden sie nicht wieder gesund und ist damit nicht 1. anwendbar, gehen Kastraten mit einem (!) Bock oft sehr gut. Wen also das zarte Odeur de Maus nicht stört, der darf bei schlechten Chancen auch einfach darauf verzichten, das Leben eines Mitgeschöpfes zu riskieren. Meine Empfehlung dazu: Für diese Variante sollten es nicht Eure ersten Mäuse sein.
Und was ist jetzt mit den 5%? Jaaa, diese 5% sind mein persönlicher, kleiner Traum: Mäusejungs, die sich unkastriert vertragen und sogar recht unkompliziert und dauerhaft erfolgreich vergesellschaften lassen. Warum ich die nicht einfach wegen der stillen Mitleser verschweige? Weil es sie gibt. Und weil man sie nicht dem Risiko einer Narkose aussetzen muss.
Sie zu finden und gezielt zu identifizieren, ist allerdings ein Job für echte Profis. Da rede ich jetzt nicht von Leuten, die 10 oder 20 Mäuse hatten, sondern von solchen, die 1000 oder 2000 (männliche) Mäuse hatten UND sich gezielt mit Verhalten auseinandergesetzt haben. Ein bisschen Nasenfaktor (im wahrsten Sinne des Wortes), ein “bisschen” Recherche über die Vorgeschichte, vorangegange Vergesellschaftungen und ähnliches. Ja, Mäuseböcke sind anstrengend. Sehr anstrengend, wenn man es richtig machen will. Das sollte man den geneigten, stillen Mitlesern vielleicht mal beibringen. Ist ein wenigstens mal realitätsnaher Allgemeinplatz und sollte zur Abschreckung dieser ominösen Spezies reichen.